Text 5:
Quintilian, Institutio oratoria 1,1,9-14

 

Quint. inst. 1,1,9


Quint. inst. 1,1,10


Quint. inst. 1,1,11


Qunit. inst. 1,1,12




Quint. inst. 1,1,13a

Quint. inst. 1,1,13b

Quint. inst. 1,1,13c

Quint. inst. 1,1,14a
Quint. inst. 1,1,14b

Unsere Unterweisung hat das Ideal des Redners zum Ziel: Der ideale Redner kann nur ein sittlich hochstehender Mann sein. Und deshalb verlangen wir auch, dass er nicht nur eine außerordentliche Redegabe, sondern auch alle charakterlichen Vorzüge besitzt. Ich möchte nämlich nicht das Zugeständnis machen, dass die Ethik, wie gewisse Leute meinten, dem Fachbereich Philosophie zuzuweisen sei; denn der echte Politiker, der tatkräftige Vertreter öffentlicher und privater Interessen, der die Fähigkeit hat, Staaten durch seinen Rat zu lenken, durch Gesetze zu begründen und durch sein Urteil zu verbessern, kann in der Tat nur der Redner sein. So gebe ich zwar zu, dass ich auf manche Themen philosophischer Abhandlungen zurückgreifen werde; dennoch möchte ich an der Behauptung festhalten, dass dieser Problemkreis mit Fug und Recht zu unserer Aufgabe gehört und spezifisch in den Fachbereich Rhetorik fällt. Sehr häufig kommt es nämlich vor, dass eine Erörterung von Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigkeit und ähnlichen Tugenden nötig ist; ja, man kann kaum einen Gerichtsprozess finden, in dem nicht eine Frage aus diesem Themenbereich zur Sprache käme; all diese Darlegungen müssen mit Erfindungskraft und rednerischer Ausdrucksfähigkeit verbunden werden. Will man da noch Zweifel haben, dass bei einer erforderlichen Verbindung von Geisteskraft und Sprachgewalt immer der Redner eine besondere Rolle spielt?

Cicero kommt ganz klar zu dem Schluss, dass beide Fähigkeiten einst, ihrer natürlichen Verbindung entsprechend, auch als Beruf eine Einheit darstellten; so galten dieselben Persönlichkeiten für Weise und gute Redner. Später teilte sich die Interessensrichtung, und Trägheit war die Ursache davon, dass es den Anschein bekam, es handle sich dabei um mehrere Wissenschaften. Denn in dem Augenblick, wo Redefähigkeit als Erwerbsquelle zu dienen anfing und ein Missbrauch der Errungenschaften in der Redekunst aufkam, gaben die vermeintlich guten Redner ihr Interesse für die Ethik auf. Dieses Gebiet wurde aber in seiner Unbesetztheit gleichsam zur Beute schwächerer Geister. Infolgedessen verachteten gewisse Leute die Bemühung um den guten sprachlichen Ausdruck und beschränkten sich auf die innere Bildung und auf die Aufstellung von Lebensregeln; damit behielten sie zwar den wichtigeren Teil für sich, unter der Voraussetzung allerdings, dass eine Teilung überhaupt möglich wäre; dennoch ist der Name, den sie für sich in Anspruch nahmen, voller Anmaßung; sie allein wollten nämlich "der Weisheit Beflissene" (d.i. "Philosophen") heißen.